Leger und beschwingt, voller Lebenslust und durchwoben von tiefer Poesie und einer – bei aller offensichtlichen Leichtigkeit – milden Grundmelancholie, so bezaubern uns die in Paris entstandenen, romantischen Schwarz-Weiß-Fotografien, die dieses Album begleiten und seinen Titel illustrieren, wie es ähnlich treffend wohl nur den Bildern aus Filmen wie Außer Atem und Jules & Jim hätte gelingen können, die »Aus lauter Liebe« inspiriert haben, wie kaum etwas sonst.
François Truffaut hat einmal gesagt: Der Film von Morgen wird ein Akt der Liebe sein. Ersetzt man in diesem Zitat den Begriff Film durch Kunst, dann erschließt sich der Albumtitel als programmatisches Statement im Geiste der Nouvelle Vague: »Aus lauter Liebe« atmet den gleichen Spirit, es erweckt die gleichen Sehnsüchte und beschwört die gleichen Ideale, die die Meisterwerke des französischen Films noch heute in uns achrufen.
Und es ist bezeichnend für KLEE, dass sie für ihr fünftes Album den Blick gen Frankreich richten und damit erneut über den Tellerrand hinausblicken: Sie haben ein gefeiertes Album in den USA veröffentlicht, Titel auf englisch, russisch und französisch aufgenommen, Konzerte rund um den Erdball gespielt und überall die Herzen im Sturm erobert
KLEE sind – das kann man zweifellos sagen – ein Phänomen: nicht nur eine Institution in Sachen Herzensdingen und Ohrwürmern, sondern ihren Fans treue Begleiter, Ratgeber und Seelentröster, denen diese sogar auf Konzerte bis nach Russland oder China hinterher reisen. Ein Status, dem KLEE auf ihrem neuen Album in jeder Beziehung Rechnung tragen.
Produziert von Olaf Opal (The Notwist, Juli, Polarkreis 18) und Jochen Naaf (Polarkreis 18, Peter Licht, Bosse) markiert der Reigen weltumarmender Evergreens, den sie uns auf »Aus lauter Liebe« präsentieren, nun unweigerlich den Aufstieg von den Superstars der Herzen zu allerhöchsten Popstarweihen.
Noch nie hat Suzie Kerstgens‘ samtig hauchende Stimme intimer, präsenter und selbstverständlicher geklungen, nie zuvor waren Sten Servaes Kompositionen so sehr dafür geschaffen, uns nicht nur im Alltag, sondern vor allem in diesen ganz besonderen Situationen zu begleiten, in denen die Emotionen mit uns Karussell fahren.
Die jubilierende Mandoline, die triumphierenden Bläser und ein Text, den jeder aus ganzem Herzen mitsingen wird, der schon einmal darauf gehofft hat, ein ganz besonderer Abend möge nie zu Ende gehen, machen »Ich will nicht gehen, wenn’s am schönsten ist, zu einer enthusiastischen Hymne ans Hier und Jetzt, einer Ode an den unstillbaren Durst auf die Liebe und das Leben.
Und zu welchem Song möchte man lieber Pläne für ein gemeinsames Leben schmieden als zu Willst du bei mir bleiben«, einem so berührenden, wie selbstbewussten Bekenntnis zur lebenslangen Bindung.
In Anbetracht der Größe der in Stell dir vor beschworenen Utopien können die Klänge gar nicht üppig, das Arrangement nicht episch, die Worte nicht stark genug sein. Hier zeigen KLEE, wie man so sagt, ganz großes Kino.
Apropos Kino: Dass auch Songs wie Außer Atem, »Adieu« und die Romy-Schneider-Hommage »Nimm dein Leben in die Hand« an das französische Kino der frühen sechziger Jahre erinnern, macht deutlich, wie konsequent sich die Botschaft von Artwork und Titel auch durch die Texte des Albums zieht.
Da ist es bloß folgerichtig, dass »Aus lauter Liebe« nicht nur mit Oden auf unvergessliche Augenblicke glänzt, sondern gerade die leisen Songs, in denen auch Wehmut und Abschiedsschmerz den Ton angeben, dieses Album auszeichnen. Etwa das dramatische, sehnsuchtstrunkene Meilenweit und die federleichte Ballade Fliegen. Nicht zu vergessen das elegische Vergiss nicht und ganz besonders Adieu – sicherlich einer der poetischsten Songs des Albums und, wie die zärtliche Akustiknummer Wir beide, von Suzie und Sten im Duett vorgetragen. KLEE profilieren sich durch unvergessliche Melodien und die Feinnervigkeit ihrer Inszenierung, ein für alle Mal als Großmeister des melancholischen Liebeslieds. Und jeder dieser Songs hat für sich genommen das Zeug, ein ganzes Album zu tragen.
KLEE wissen, was sie ihren Fans nach der Zeit des Wartens auf ein neues Album schuldig sind: Mit »Puls und Herzschlag, Außer Atem und Nimm dein Leben in die Hand knüpfen sie nahtlos an Hits wie Gold und Zwei Herzen an, indem sie sich einmal mehr vor dem Dancefloor-orientierten Britpop der Achtziger verbeugen und diesen mit Verve und Eleganz in die Jetztzeit transportieren.
Natalie schließlich, mit
seinen treibenden Handclaps und der markanten Twang-Gitarre, sowie das von federweichen, sphärischen Harmoniegesängen getragene Schmetterlingsflügelschlag – nach »Ich will nicht gehen, wenn’s am schönsten ist« eine weitere Huldigung an die Magie des Augenblicks – bilden mit ihren Sixties-Anleihen die goldene Mitte eines Albums voller zutiefst emotionaler und lebenskluger Songs. Eines Albums, das vom unbedingten Willen zur Schönheit beseelt ist und einem zunehmend fremdbestimmten Alltag und dem allgegenwärtigen Diktat der Coolness das romantische Ideal von Freiheit und Selbstbestimmung entgegensetzt – ganz im Geiste der Nouvelle Vague:
Aus lauter Liebe.
Stephan Glietsch
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